Alles in Butter

Meine Einstiegsdroge war Ungarische Salami. Jeden Morgen gab es sie auf einer dick abgeschnittenen Scheibe Roggenbrot mit knuspriger Kruste und mit sehr viel Butter. 

Als Kind im Vorschulalter dachte ich damals, dass Butter ausschließlich die Funktion von Kleber hat. Ohne Butter wäre die Salami doch vom Brot gerutscht. Erst als ich acht Jahre alt und ein frischgebackenes Flüchtlingskind im Asylantenheim war, habe ich den Geschmack von Butter bewusst wahrgenommen. 

Wochentags wurde uns nämlich Margarine zum Frühstück serviert und da ich bis dahin Margarine nicht kannte, dachte ich, dass Margarine in dieser seltsamen, deutschen Sprache einfach nur Butter bedeutete. Mein Deutsch war zu der Zeit schließlich nur auf das Wesentliche beschränkt:

„Haló, gútn tág, auf vídrzén, fernzén, ich mus auf tojlete, felig lósgelézt fon der erde švépt das raumšif félig švérelós“.

In der BRD war eh so vieles ganz anders: 

Das leuchtende Grün der Bäume, die farbenfrohen Verpackungen in den Lebensmittelmärkten und ich durfte endlich sagen, dass meine Lieblingsfarbe Blau war. Als ich das noch in der ČSSR zu einigen gleichartigen Freunden gesagt hatte, drohten sie mir mit Prügel, wenn meine Lieblingsfarbe nicht Rot wäre. Denn Rot wäre die schönste aller Farben: Rot sei das Blut, rot seien die weiten Böhmischen Mohnfelder, die dicken, gesunden Wangen des braven Soldaten Švejk und die schönsten Sonnenaufgänge.

Bei so vielen Argumenten war meine Lieblingsfarbe dann eben auch rot…

Aber ganz tief in mir drin, da wusste ich: 

„Meine Lieblingsfarbe bleibt Blau“. Denn egal ob im Osten oder Westen, der schönste Himmel war blau, mein Pullover war blau und meine Lieblingsfrüchte, die Blaubeeren, auch.

Und  jetzt, Asylantenheim, tauchte an unserem ersten Samstag-Morgen diese blaue Verpackung auf, auf der mit gelber Schrift „Butter“ geschrieben stand.

An den Wochenenden gab es nämlich frische, goldbraun gebackene, knusprige Brötchen statt labberigem Brot und Butter statt Margarine. Ich biss in ein, nur mit dem edlen Streichfett beschmiertes, knuspriges Brötchen und bemerkte zum ersten Mal in meinem Leben diesen buttersüßen Geschmack.

Ab dem Zeitpunkt wusste ich, dass Butter nicht einfach der Kleber ist, der die Ungarische Salami an Brotscheiben haften lässt. Jetzt verstand ich endlich, warum manche Menschen sich ihre Leberwurst-Stullen mit Butter geschmiert hatten! 

Das goldbraune, knusprige Brötchen mit einem dicken Stück Butter: Das ist der Geschmack des Asylantenheims! 

Alles war bunt: Die Autos, die Süßigkeiten und die Fernsehprogramme. Doch die Esskultur mit der ich in Böhmen aufgewachsen bin, spielte hier keine so große Rolle. 

Grie Soss, Handkäs mit Musik, Fertigfraß aus der Dose und sehr viele Gerichte, die mit, den aus Werbeunterbrechungen bekannten, Tütenpulvern von Maggi Fix und Knorr gekocht wurden. Die hessische Küche war in dieser Hinsicht eine Enttäuschung.

Mir blieb nichts anderes übrig als selber kochen zu lernen. 

Doch erst musste ich noch gut ein Jahr warten bis unser Asylantrag genehmigt wurde und wir in eine Wohnung mit eigener Küche ziehen sollten.

Da mein Vater immer so viel arbeiten musste, hatte er mir jeden Abend das Kochen der böhmischen Küche beigebracht. Und ich wollte unbedingt kochen lernen, immerhin war ich ja schon neun Jahre alt.

„Die Zwiebeln in feine Würfel schneiden, in zerlassener Butter braten bis es leicht schäumt. Dann die Eier in die

Pfanne einschlagen und sofort rühren, nicht aufhören zu rühren.

Salzen, pfeffern und nicht aufhören zu rühren! Deswegen heisst es Rührei! Wenn du aufhörst zu rühren ist es kein Rührei! Und jetzt noch mit edelsüssem Paprikapulver bestreuen und bevor es zu fest wird, nimm die Pfanne sofort vom Herd!“ 

Die Anweisungen meines Vaters haben mein erstes Böhmisches Rührei so schmecken lassen wie das bei meiner Mutter.  

Kochen war so einfach?

Nach und nach lernte ich die richtige Zubereitung all der anderen Gerichte der böhmischen Küche und eines Tages brachte mein Vater mir endlich die Zubereitung meines Lieblingsgerichts bei.

Beim Braten dieses Wiener Schnitzels roch es nach Weihnachten!

Es ist eine alte böhmische Familientradition an Heilig Abend vor der Bescherung panierten Karpfen und panierte Schnitzel mit Kartoffelsalat zu essen. Natürlich wurde immer mehr zubereitet als alle zusammen essen konnten, so dass auch am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag sehr viel übrig blieb. Die Schnitzel wurden dann kalt mit dem restlichen Kartoffelsalat gefrühstückt. 

Dass so viel zubereitet wurde, lag daran, dass wir an Heilig Abend den ganzen Tag bis zum Abendessen nichts essen durften. Wer es den ganzen 24. Dezember ohne Essen aushielt, dem sollte nämlich das goldene Schwein erscheinen, welches einem ein Leben voller Glück und Reichtum prophezeit. Ich habe das goldene Schwein bis heute immer nicht gesehen!

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