Am Samstag habe ich mal wieder am eigenen Leib den Culture Clash der Generation erlebt, bzw. ich stand mal wieder etwas auf dem Schlauch. Vor einem Berliner Nobelhotel saßen viele junge Menschen. Ich war neugierig, warum sie da alle verharren hielt mit dem Fahrrad kurz an, und fragte neugierig ein ca. 18-jähriges Mädchen, warum sie und die anderen vor dem Hotel chillen.
Das Mädchen sah mich ungläubig an, die anderen auch. Plötzlich verstummten alle Gespräche, und ich stand im Mittelpunkt der Blicke dieser ganzen Gruppe junger Menschen, die aussahen und redeten, wie die, die ich bisher nur auf TikTok oder vor einem Späti gesehen habe, und nie zuvor in Kontakt mit ihnen getreten bin.
„Diggar, das crazy. Weißt du wirklich nicht, wer hier gerade wohnt?“
„Udo Lindenberg?“, fragte ich zurück, in der Annahme, dass die jungen Leute meinen Scherz über Lindenbergs Dauerunterkunft in Hamburg verstehen würden. Die Antwort kam prompt:
„Digga. Wer soll das denn sein?“
Ich prahlte daraufhin mit einer der Kenntnisse über die Jugendkultur, die ich gerade hatte:
„Na, der, der mit Apache 2008 den Song Komet gesungen hat.“
„Apache 2008??“
Die jungen Menschen brachen in schallendes Gelächter aus. Ich fühlte mich von ihnen jetzt etwas unterdrückt.
Ein anderes Mädchen, so Anfang 20, klärte mich dann auf:
„Der heißt Apache 207! Der ist doch cringe. Und der Opa, der mit ihm Komet gesungen hat, ist auch cringe. Und das sind eh keine Weltstars, wie die im Hotel. “
„Ja, und wer ist denn nun in diesem Hotel?“
„Digga, Tokio Hotel!“
Schrieen mich alle im Chor an.
Das Mädchen ergänzte:
„Die haben gestern in der Wuhlheide 20 Jahre Monsun gefeiert!“
Und ein anderes Mädchen ergänzte:
„Und Heidi ist auch da!“
Ich sagte nur: „Ach so …“ – und fuhr schnell weiter, bevor die mich aufgrund meiner Unwissenheit lynchen.
Während ich mich langsam entfernte, kreischten die Mädchen immer und immer wieder:
„Bill, Bill, Bill!“, „Tom, Tom, Tom!“ und „Heeiiidiii!“.
Ich dachte darüber nach und die Lösung war recht eindeutig. Vermutlich handelt es sich bei Tokio Hotel um eine japanische Band, die seit 20 Jahren dem Monsun huldigt. Immerhin gibt es in Japan immer im Juni und Juli den Monsun, den man dort tsuyu nennt – was so viel wie Pflaumenregen bedeutet, weil er immer zur Pflaumenernte stattfindet. Das macht also Sinn.
Bill, Tom und Heidi sind in Japan bestimmt auch recht populäre Namen. Immerhin gibt es in Animes wie Sharan King, Monster oder Girls und Panzer deutsche Namen wie Franz, Anna oder Erika.
Bill, Tom und Heidi sind sicher Stars dort. So richtige Promis. So wie Blackpink oder PSY in Korea. Und deswegen sitzen hier so viele Mädchen vor dem Hotel. Promis sind eben für manche Menschen faszinierend.
Ich wollte früher auch mal ein Promi werden. Weil Promis viel Geld verdienen, weil man sie mag, weil sie Vorbilder sind. Weil sie glitzern und funkeln, weil sie entweder wie eine Fliederwiese oder eine traditionelle Kneipe riechen, oder sogar nach einer Kombination aus beiden. Weil sie immer attraktiven Besuch haben, der mit ihnen am Pool chillt. Und weil sie von Massen geliebt werden. Und weil vor jedem Hotel, in dem sie übernachten, den ganzen Tag Fans von dir sitzen, nur um dich zu sehen.
Ich verdiene kein Geld, ich werde von Massen nicht geliebt und ich rieche statt nach Dior nach Ja! und wenn ich etwas mehr fancy sein will, nach Sebamed. Und wenn ich irgendwo auftauche, fällt von mir eher Staub als Glitzer. Und wenn mich jemand überraschend besucht, dann eher ein Gerichtsvollzieher.
Und wenn ich mich in meiner Stammkneipe neben jemanden setzen will, neben dem ich sonst immer saß, sagt er inzwischen: „Um Gottes Willen“ und bittet mich, mich woanders hinszusetzen. Hauptsache nicht in seine Nähe. Warum, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich habe ich ihn mal im Suff zugelabert. Und das spricht ja eher dagegen, Promi-Potenzial zu haben.
Promis haben sich schließlich immer unter Kontrolle, besonders wenn sie saufen oder andere Drogen nehmen. Außer einigen Ausnahmen, die die Regel dadurch bestätigen, indem sie sich komplett bekloppt benehmen.
Und selbst in einer Zeit, in der jeder Mensch ein Promi werden kann, so wie Andy Warhol es richtig prophezeit hatte, schaffe ich es nicht, ein Promi zu werden.
Die Theorie dahinter: Ich wollte nie Promi sein, will kein Promi sein und werde auch nie ein Promi werden wollen.
Und wenn dich doch noch einer werden sollte, dann wäre ich bestimmt damit bekannt, so jemand wie Mr. Bean zu sein. Seine Erlebnisse beschreiben mein Leben schon ganz gut.
Ich wäre tatsächlich ein perfekter Charakter in Filmen wie Die nackte Kanone oder Scary Movie. Und da fällt mir doch glatt Charlie Sheen ein. Der hatte sogar mal eine Rolle, in der er MICH verkörpert hat. Da hieß er Charlie Harper und war auch Komponist für Werbejingles. Aber damit ist man kein Promi. Also vielleicht in Malibu aber bestimmt nicht in Berlin, wo es außer Touristen allen egal ist, ob einer ein Promi ist oder ein obdachloser Säufer. Da werden hier keine Unterschiede gemacht. Aber bei den meisten fallen diese Unterschiede eh nicht auf.
Ich war nie ein Promi und bin keiner. Aber wenn ich’s mir recht überlege, irgendjemand muss ja auch das Publikum sein. Und das bin ich! Und das bin ich gern.
Und hey, im Supermarkt, im Rewe in der Kulte, da bin ich inzwischen bekannt wie ein bunter Hund. inzwischen habe ich es nämlich drauf, den Einkauf an der Kasse schneller in die Tasche zu packen, als die Kassiererin ihn scannt. Das hat mir schon einige mal Applaus eingebracht.
Und einen eienn weiteren Vorteil hat das Nicht-Promi-Dasein auch: Ich kenne in meiner Stammkneipe die besten Plätze, wo ich mein Bier genießen kann, ohne von Leuten wie mir vollgelabert zu werden. Die Vorteile überwiegen einfach. Stell dir vor, du chillst im Hotel zwischen anstrengenden Auftritten; die dich krank machen und draußen warten 30 junge Frauen und ein paar bunt gekleidete Jungs, nur um dich zu sehen.
Für mich, als jemand, der Spiegel hasst, weil sie mir mein Spiegelbild zeigen, denkt sich da nur: Horror. Einfach nur Horror!