Berliner Polizei

In Berlin hast du es früher oder später zwangsläufig mit der Polizei zu tun. Du brauchst nur bei Rot über die Fußgängerampel gehen, dich mit Sekundenkleber auf die Straße kleben oder den Kanzler zu umarmen. Oder das bei Konservativen unbeliebteste Verbrechen zu begehen: Fahrrad zu fahren. In Berlin hält die Polizei wirklich alles an, was nach Fahrrad aussieht. Nachdem die Strafen für fehlendes Licht, fehlende Bremsen oder fehlendes Vertrauen in die Straßenverkehrsordnung ausgesprochen wurden, essen die Polizist:innen meistens Fastfood bei RISA. Das mit Antibiotika vollgepumpte Halal-Hähnchen ist das Berliner Pendant für Donuts in den USA. 

Meine persönliche Lieblingsabteilung ist die Kriminalpolizei in Reinickendorf. Ich war dort schon einige Male zu Besuch. Und jedesmal war dem eine Reihe actionreicher Ereignisse vorausgegangen: 

Die Gegenüberstellung 

In einer Kneipe in Prenzlauer Berg hatte mal ein Betrunkener  versucht, seine Bierflasche am Kopf einer Freundin von mir zerschellen zu lassen. Die Flasche ist am Kopf meiner Freundin abgeprallt und auf den Boden gefallen ohne zu zerbersten. Der Jugendliche ist dann in Richtung Stargarder Str. geflüchtet. 

Wir leisteten erste Hilfe. Unserer Freundin ging es zum Glück gut. „Ruf die Bullen, Richard!“ rief mir jemand zu. Und ich wählte 110. 

Als die Polizei mit zwei Zivil- und vier Streifenwagen ankam, mussten wir aussagen. Ein Polizist fragte mich, in welche Richtung der Täter geflüchtet sei. Ich zeigte in Richtung Stargarder Str. 

„Würden sie den Täter erkennen?“ fragte er. 

„Ja, klar“ sagte ich. Die Polizisten stiegen in das zivile Auto ein und einer von ihnen hielt die hintere Tür auf und signalisierte mir mit der „Hereinspaziert“-Geste, dass ich mit einsteigen sollte. „Wie aufregend!“ Wow, das erste mal im Polizeiauto. Meine erste Verfolgungsjagd! Bestimmt würde das so werden wie in Death Proof, ein Colt für alle Fälle, Miami Vice oder GTA 5! 

Ich sollte den Täter beschreiben. 

„Um die 1.75m groß, kurze dunkle Haare, schwarzer Hoodie, Baggy Pants“. Das Polizeifahrzeug fuhr mit einem quietschenden Kickstart los, musste aber direkt – wieder mit quietschenden Reifen – abbremsen, denn die Zufahrt von der Schliemannstr. in die Stargarder Str. war gesperrt. 

„Oh nein, ey. Berlin. Überall nur Baustellen“ meckerte der Beamte neben mir wie ein waschechter Wutbürger. 

Der Fahrer legte den Rückwärtsgang ein, trat aufs Gaspedal und musste sofort wieder scharf abbremsen, denn jetzt versperrte ein ausparkender SUV den Weg. Wir waren gefangen, zwischen Baustelle und Jeep. Ein Polizist stieg aus und klopfte an die SUV-Tür. 

„Hey, warum blockieren sie uns?“ 

Der Fahrer öffnete das Fenster. Es war ein verängstigter, dünner, blaßer 18-Jähriger, der mit zittriger Stimme sagte: 

„Ich habe gestern die Führerscheinprüfung bestanden. Und soll jetzt nur das Auto meines Vaters ausparken.“ 

„Fahren sie bitte in die Parklücke zurück, wir sind im Einsatz!“ sagte der Beamte. Der Junge dachte er hätte den Drive-Gang eingelegt, trat aufs Gaspedal, doch das Auto fuhr immer noch rückwärts, weil er offensichtlich doch den Rückwärtsgang eingelegt hatte. 

„Du sollst vorwärts fahren, Junge! Zurück in die Parklücke“ schrie der Polizist. Auf dem blassen Gesicht des Führerscheinneulings glänzten immer mehr Schweißperlen. Er fuhr ein paar Zentimeter rückwärts, dann wieder vorwärts, dann wieder rückwärts, dann wieder vorwärts. Als der SUV nach ca. drei Minuten parallel zu den anderen geparkten Fahrzeugen stand, nutzte der Polizist am Steuer die Gelegenheit, und fuhr an dem riesigen Vehikel vorbei, bevor der blaße Junge wieder den Weg versperren würde. Der andere Polizist stieg ein und wir fuhren mit erhöhter Geschwindigkeit rückwärts bis zur Lettestr. Dann mit Blaulicht durch die Einbahnstrasse zur Dunkerstraße. Jetzt suchten wir alle S-Bahn- und Tram-Stationen ab. 

„Ist er das?“ fragte mein Sitznachbar und zeigte auf einen Jungen mit Baggy-Pants und einem dunklen Hoodie, der an der Tram-Station „Prenzlauer Alle“ einen Döner aß. 

„Nein, das ist er nicht.“ sagte ich. 

Wir fuhren weiter an die Tram-Station Fröbelstr. 

„Ist er das?“ fragte der Polizist und zeigte auf einen Jungen mit Baggy-Pants und einem dunklen Hoodie, der einen Döner aß. „Äh, nein“.

„Ist er das?“ fragte der Polizist an der Danziger Str./Prenzlauer Aller und zeigte wieder auf einen Jungen mit Baggy-Pants und einem dunklen Hoodie, der einen Döner aß.

Seitdem weiß ich, was ich anziehen und essen sollte, wenn ich mal eine Straftat begehen will. 

Nachdem wir alle Tram-Stationen in der Nähe abgeklappert haben, und weitere Döner-essende Jugendliche in Hoodies und Baggy-Pants angesehen haben, fuhren mich die Polizisten wieder zurück zur Kneipe. 

Einige Wochen später musste ich zur Zeugenaussage bei der Kriminalpolizei in Reinickendorf. Nachdem der Kommissar meine Aussage aufgenommen hat, fragte er mich „Würden Sie den Täter noch erkennen?“ Ich bejahte dies und er schickte mich zur Gegenüberstellung.

Wow! Gegenüberstellung. Wie aufregend! Ich würde jetzt bestimmt in einen dunklen Raum mit Backsteinwänden geführt werden und dann durch einem verdunkelten Spiegel den Täter identifizieren müssen. Wie in „Die üblichen Verdächtigen“.

Ich sollte auf der Sitzbank vor dem Gegenüberstellungs-Raum Platz nehmen, bis ich aufgerufen werde. 

Ich stellte mir vor, wie  kriminelle Jugendliche nebeneinander aufgereiht werden und ihnen gesagt wird, dass sie eine Drohgebärde mit einer Bierflasche in ihrer Hand machen sollen. 

Eine ältere Frau öffnete die Tür und bat mich hinein. 

Doch in dem Raum war keine Glaswand, durch die ich Kriminelle hätte beobachten können. Es war ein steriler Raum mit zwei Stühlen und einem Schreibtisch, auf dem ein etwas älterer PC stand.

„Können Sie bitte den Täter so genau wie möglich beschreiben? Ich gebe das in den Computer ein und dann hoffen wir, dass wir ihn finden.“ sagte die alte Frau. 

Ich beschrieb den Übeltäter: Dunkle, kurze Haare, an den Seiten rasiert, dunkle Augen, helle Haut, ca. 1 Meter 75, kleine Nase, volle Lippen und keine Narben. Die alte Dame hatte alles langsam in den Computer getippt und startete die Suche. Der Bildschirm wurde schwarz und der Computer knackste und tutete.

„Ist das kaputt?“ fragte ich, nachdem wir 20 Minuten auf den dunklen Bildschirm starrten und den seltsamen Geräuschen lauschten. 

„Nein, wir müssen nur noch etwas warten. Die Datenbank ist riesig. Aber das dauert höchstens nur noch zehn Minuten. Sie müssen wissen: Polizeiarbeit ist Geduldsarbeit.“ 

Wir saßen weitere 10 Minuten da und hörten dem Klakkern und Zischen des PC’s zu. Dann ertönte so etwas wie ein Gong und der erste Kriminelle war zu sehen: 

Roter Vollbart, Halbglatze, 2m groß, schmale Lippen und eine Narbe auf der rechten Wange.

 

„Ist da etwas schief gelaufen?“ frage ich die alte Dame. Sie antwortete ganz ruhig:

„Nein, nein, das ist normal. Eigentlich müssten keine Merkmale eingegeben werden. Das System zeigt immer die gleichen Leute an.“

„Und warum haben wir die Merkmale eingegeben?“ 

fragte ich verwundert. 

„Wenn wir die nicht eingeben, dann funktioniert das nicht. Es muss immer etwas eingegeben werden.“ 

Zwei Stunden hatte es gedauert bis der Jugendliche tatsächlich im System aufgetaucht ist. Er hatte auf dem Bild sogar den dunklen Hoodie an, den er an dem Abend anhatte. 

„Na sehen sie. Es hat sich doch gelohnt.“ sagte die alte Dame freundlich und schickte mich nach Hause. 

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Der Text handelt von den Erfahrungen des Autors mit der Polizei in Berlin. Er beschreibt Fahrradkontrollen und den anschließenden Besuch der Polizisten bei einem Fast-Food-Restaurant. Zudem schildert er eine Verfolgungsjagd nach einem Vorfall in einer Kneipe, die jedoch erfolglos endet. Der Autor berichtet auch von einem Besuch bei der Kriminalpolizei, bei dem eine Gegenüberstellung entgegen seiner Erwartungen nur mit einem Computer durchgeführt wird.

Das Restaurant

Im Sommer saßen wir auf der Terrasse des Schusterjungen. Wir waren zehn internationale Freunde zwischen 35 und 55, die ihr Bier tranken, um sich von Gulasch, Leber, Steak au Four, Kalbsschnitzel, Bulette, Eisbein und den Eiern in Senfsoße zu erholen. Während wir unsere Gläser erhoben, um alle zusammen auf den Abend anzustoßen, blieb ein schweißgebadeter und schwer atmender Fahrradfahrer neben uns stehen, stieg vom Fahrrad und schmiß das Fahrrad auf den Boden. Ein junger Typ im dunklen Hoodie kam um die Ecke angerannt und sprayte dem Radfahrer Pfefferspray ins Gesicht. Der Radfahrer wälzte sich auf dem Boden und bevor die Pfefferspray-Wolke unsere Runde erreichte, fing der Hoodie-Typ an, mit einer Luftpumpe auf das Fahrrad des ausgeknockten Fahrradfahrers einzudreschen. Bevor wir überhaupt reagieren konnten, befanden wir uns mitten in der Pfefferspray-Wolke. Wir hielten uns die brennenden und tränenden Augen zu und schrieen panisch: „Ppperspray, that’s Pepper-Spray!“. Wir waren schließlich eine internationale Runde und sprachen englisch miteinander. Der Hoodie-Typ mit der Luftpumpe schrie den Glatzkopf an: 

„Ich töte dein Fahrrad! Ich töte dein Fahrrad! Ich töööte jetzt dein Fahrrad!“ 

Die Wolke verzog sich und zwei von uns entrissen ihm die Luftpumpe. Doch er wehrte sich und schlug um sich. Es kamen noch einige von uns dazu, um den aggressiven Teenie festzuhalten. 

„Ruf die Polizei! Wir halten ihn fest!“ rief mir einer meiner Freunde zu. Ich zögerte.

„Äh, meinst du mich?“ fragte ich, wohl wissend dass ich wohl derjenige sein würde, der später wieder mal nach Reinickendorf zur Zeugenaussage fahren muss. 

„Ja man! Ruf jetzt an!“

Ich wählte also wieder einmal die 110. 

„Polizei Notruf Berlin, wie darf ich ihnen weiterhelfen?“ sagte eine nette Stimme am Telefon. 

„Bin beim Schusterjungen. Hier ist ein Typ mit Pfefferspray, ein verletzter Fahrradfahrer auf dem Boden und der andere will sein Fahrrad mit einer Luftpumpe töten!“ 

„Wie bitte?“

„Also nicht ihn, sein Fahrrad… kein Mordversuch. Ist ja ein Fahrrad!“

„Beruhigen sie sich bitte. Wir senden sofort jemanden los. Warten sie auf die Einsatzkräfte und den Krankenwagen am Tatort“. 

Ich kniete mich zum Radfahrer , der jetzt langsam sein Bewusstsein wiedererlangt hat und tat mein bestes, um ihn zu beruhigen:

„Keine Sorge. Krankenwagen und Polizei sind gleich hier.“

Er schrie mich an: „Keine Bullen!“ Dann packte er sich sein Fahrrad und raste auf der Danziger Str. in Richtung Prenzlauer Alle davon. Fünf Minuten später kamen ca. 30 Einsatzfahrzeuge und fünf Krankenwagen mit Blaulicht und Martinshorn von allen Seiten angeschossen. Die Ecke Danziger/Lychener/Knaack-Str. war blau erleuchtet. Wahrscheinlich hatte ich am Telefon etwas übertrieben. Drei Polizisten kamen auf uns zu und fragten: 

„Wer hat den Notruf gewählt?“ Ich hob zögernd meine Hand. „Äh. Ich. Aber.. ist das Aufgebot nicht etwas übertrieben?“

„Wenn jemand mit einer Schusswaffe hantiert, es Verletzte durch Pfefferspray und einen Fahrradunfall gibt, sind wir selbstverständlich mit vollem Team zur Stelle.“ 

Ich glaube, ich war am Delfin nicht so präzise. 

Meine Freude ließen den Typen mit der Luftpumpe los, als drei junge  Polizisten und eine sehr hübsche Polizistin zu ihm kamen. 

Der Luftpumpen-Typ war jetzt ganz ruhig, und sagte:

„Gut, dass sie so schnell hier sind. Ich wollte schon die 110 wählen, aber diese Herren halten mich hier die ganze Zeit fest.“

Wann wollte er den Notruf wählen? Während er das Fahrrad mit der Luftpumpe ermorden wollte? 

Wir haben unsere Aussagen gemacht. Der Fahrradfahrer blieb verschwunden. Warum er mit Pfefferspray und sein Fahrrad mit einer Luftpumpe angegriffen wurde, haben wir nie herausgefunden. Die Polizei und der Rettungsdienst haben sind mit Blaulicht zum nächsten Tatort davon gedüst. Wir setzten uns wieder an unseren Tisch und bestellten noch eine Runde Bier.  Wir stießen auf diesen actionreichen Abend an. Aber das Thema des Abends war die attraktive Polizistin. Wir amüsierten uns über unsere doofen Fantasien von Handschellen und Uniformen. Solch eine bierfreudige Männerrunde kann in diesen Situationen eine recht anrüchige Rhetorik entwickeln. Während wir uns uns immer weiter in unseren prolligen Fantasien verloren haben, hielt neben uns ein Polizeiauto an. 

Die schöne Polizistin stieg aus und kam lächelnd zu uns an den Tisch. 

„Meine Herren, ich muss sie leider noch ein letztes Mal stören. aber ich habe noch eine Frage.“ 

Wir waren still, sahen die Polizistin mit weit aufgerissenen Mündern an und hofften insgeheim, dass sie unser Gespräch nicht mitbekommen hatte. Sie fragte nach ein paar Details über den Fahrradfahrer, lächelte jeden einzelnen von uns nacheinander an, so dass wir uns alle nacheinander in sie verlieben konnten und ging wieder in den Wagen. Kurz bevor sie Einstieg drehte sie sich zu uns um und flüstere fast anrüchig: „Eine schöne Nacht wünsche ich den Herren noch.“

Wie kleine Jungs  winkten wir ihr lächelnd zu.

Ein paar Monate später musste ich wieder zur Kriminalpolizei in Reinickendorf. Aussage und Gegenüberstellung. 

Während meiner Aussage, diesmal bei einer Kommissarin, stürmte ein Kollege von ihr rein und warf eine alte auf den Tisch. 

„Hier ist der Bericht über die Schusswunde bei dem Toten letzte Woche.“ 

„Ach danke. Nachher zusammen in die Kantine?“

„Ja, habe jetzt schon Hunger.“

„Ok, ich hole dich in deinem Büro ab, wenn ich hier fertig bin. So Herr Blaha, dann erzählen soe weiter…“

Ich sagte aus und dann wurde ich wieder zur Gegenüberstellung geschickt. 

Die nette alte Dame arbeitete immer noch dort und ich sollte ihr  den Fahrradfahrer beschreiben.

„Ca 2m groß, Glatze, dunkle Augen, keine Narben im Gesicht“.

Die alte Dame tippte das alles langsam in den Computer ein, startete die Suche, bot mir diesmal sogar ein Plunderstückchen von ihrer Lieblingsbäckerei an und fragte mich, ob ich etwas zu trinken haben will, um die Zeit etwas zu überbrücken, während der Computer ca. 30 Minuten lang knackste und tutete Dann ertönte der Gong und der erste Kriminelle war zu sehen: 

Roter Bart, Glatze, 2m groß, spitze Lippen und eine Narbe auf der rechten Wange. 

Zum Glück wusste ich Bescheid. 

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